Armin Schild liest und erzählt beim „Frankenbacher Augenblick“
Die Veranstaltung war bereits am 4. Juli. Aber erst jetzt haben wir eigene Fotos. Leider war die Veranstaltung nicht so gut besucht wie es Vortragender und Thema verdient hätten.
Armin Schild befasst sich seit seiner aktiven – gewerkschafts – politischen Zeit intensiver mit Geschichte. Der Krumbacher hat es nicht weit ins Hinterland, wo im Jahre 1822 der Überfall auf einen Geldtransport stattfand. Der Überfall wurde in der Subach, einem Hohlweg in der Nähe von Mornshausen (heute zu Gladenbach) durchgeführt.

Für die acht Beteiligten aus Kombach (Biedenkopf), Wolfgruben und Dexbach war erst der sechste Versuch erfolgreich, das Geldkärrnche zu überfallen, mit dem die Steuereinnahmen der Region von Gladenbach nach Gießen gefahren wurden. 10466 Gulden wurden erbeutet, das entspricht einem heutigen Wert von 5 Millionen €uro. Ein gut bezahlter Handwerker verdiente damals 123 Gulden pro Jahr.

Die Dokumente, die diesen Überfall belegen, verdanken wir dem Licher Kriminalgerichtssekretär Franz, der 1824 als Protokollant beim Prozess gegen die Räuber dabei war. Auf dieser Grundlage erschien das Buch, das im Foto abgebildet ist. Außerdem diente sie Volker Schlöndorff (mit Margarethe von Trotta) als Vorlage für den Film „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach.“*1)
Die acht Bauern, Tagelöhner und Hausierer achteten darauf, dass niemand zu Schaden kommt. Die Überfallenen, der Kutscher und sein Begleiter, laufen nach Seelbach (heute zu Lohra) zum von der Obrigkeit eingesetzten Schultheiß. Ein Richter namens Danz sammelt Hinweise aus der Bevölkerung, wo jemand etwa anschafft, das er sich eigentlich nicht leisten kann. Dieses Vorgehen war erfolgreich: Nach sechs Monaten waren alleTäter identifiziert. Dabei kauften die acht nur das Nötigste. Nach den extrem kalten und nassen Sommern 1816 und 1817 (Jahr ohne Sommer durch Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien) hatten die Bauern nicht einmal mehr Saatgut (Frucht). So kaufte der eine Frucht, der andere einen Wagen, ein dritter unterstützt eine arme Witwe. Ein weiterer zahlt Kopulationssteuer*3), um endlich heiraten zu dürfen.

Sieben Beteiligte werden gefangen genommen; der Strumpfhändler Dries aus Dexbach kann fliehen. Er wanderte in die Vereinigten Staaten aus, wie ein Brief von 1845 belegt. Dort habe er eine Strumpffabrik gegründet. Ein Täter nimmt sich im Gefängnis das Leben, ein weiterer kann aus dem Gefängnis fliehen. Über ihn ist nichts mehr bekannt. Die verbleibenden fünf Täter Hans Jacob Geiz, Heinrich Geiz, Jacob Geiz, Jost Wege und Ludwig Acker – allesamt aus Kombach – wurden am 25. März 1824 in Gießen zum Tode durch das Schwert verurteilt. Die öffentliche Exekution erfolgte am 7. Oktober 1824. Dabei war die Abfolge so gewählt, dass Hans Jacob Geiz zunächst der Enthauptung seiner Söhne beiwohnen musste, bevor er als Letzter hingerichtet wurde.
Was bewegte die acht überhaupt dazu, diesen Überfall durchzuführen? Sie lebten in einer Zeit, in der Christian Fürchtegott Gellert dichtete:
„Genieße, was dir Gott beschieden,
entbehre gern, was du nicht hast.
Ein jeder Stand hat seinen Frieden,
ein jeder Stand hat seine Last.“
Und gottesfürchitg war man. Vor 200 Jahren war die Region die bevölkerungsreichste Provinz von Kurhessen-Darmstadt. Arbeitsmöglichkeiten gab es nur wenige. Die früheren Weber, Tuchmacher usw. hatten durch die napoleonische Kontinentalsperre keine Absatzmärkte mehr. Die Allmende war abgeschafft worden, die Waldnutzung abgeschafft, ebenso die Leibeigenschaft. Aber dafür mussten sich die früheren Leibeigenen freikaufen – und zahlten noch Jahrzehnte später dafür. Kein Wunder, dass viele auswanderten – teilweise in einen der reicheren vielen deutschen Kleinstaaten, zu großen Teilen aber auch nach Amerika. 1902 war die Region daher die bevölkerungsärmste.
1933 kam der 20jährige Georg Büchner nach Gießen und brachte gemeinsam mit Friedrich Weidig aus Butzbach den „Hessischen Landboten“ heraus, der das Elend der Bauern in den hessischen Provinzen beschreibt und ihre Aufstände (ausgehend vom Vogelsberg) verteidigt.
*) Wir müssen versuchen, unsere Geschichte kritisch zu lernen und zu verstehen. Deshalb ist es wichtiger und aufschlußreicher, eine solche Episode aus unserer Vergangenheit in ihrer Zeit zu belassen, sie streng historisch darzustellen, als sie zu aktualisieren, ein Gleichnis, eine Parabel oder ähnliches daraus zu machen. … Es genügt, den Text des ‚aktenmäßigen Berichts‘ zu lesen, um zu verstehen, wie eine gewisse Struktur der Gesellschaft es den Benachteiligten unmöglich macht, ihre Lage zu durchschauen und diese zu verändern.“
– Volker Schlöndorff[2] wikipedia Der_plötzliche Reichtum_der_armen_Leute_von_Kombach
*2) wikipedia Postraub_in_der_Subach
*3) leider keine Quellen dazu gefunden. man müsste dazu die Steuerbücher verschliedener Klöster durcharbeiten.
Das Beitragsbild zeigt das „Posträuber-Brot“, das es in der Bäckerei Schäfer in Gladenbach gibt.
Fotos Eveline Renell